Feb 13, 2024
«Aber – ich verhandle doch gar nicht…» - mal abgesehen davon, dass ich bei dem bösen A-Wort zu beginn dieses Satzes schon zusammenzucke, ist diese Aussage an sich schon etwas, was mich triggert. Gut, das ist nun wenig überraschend, denn ich bin sicherlich auch ein wenig naja – sagen wir mal befangen, was das Thema betrifft, denn ich kann theoretisch in fast jede Unterhaltung eine Verhandlung reininterpretieren. Dennoch ist diese Aussage eine, die ich mich immer wieder aufhorchen lässt und NEIN – ich bekomme die nicht nur zu hören, wenn ich dieses Thema anspreche.
Vor einiger Zeit war ich bei einem Fussballspiel in einer Loge. Dort traf ich auf Alex, den ich bis dato ein paar Mal auf anderen Veranstaltungen getroffen hatte. Gehen wir mal davon aus, dass Alex’ Hauptaufgabe darin besteht, seinen Arbeitgeber auf Plattformen wie Linkedin, TikTok, Facebook und Insta entsprechend gut darzustellen. An diesem Tag war er jedoch «nicht im Dienst» und wollte einfach nur «das Spiel genießen». Für mich vollkommen ok 😉 In der Halbzeitpause waren wir drinnen im Businessbereich und standen an einem Stehtisch in der Nähe der Bar. Eine kleine Gruppe, bestehend aus 3 Personen; 2 Männer eine Frau, gesellte sich zu uns und es dauerte nicht lange, da kamen wir ins Gespräch. Erst ein wenig Smalltalk über die Halbzeit und das, was im Verein und der Liga aktuell so passiert, dann lenkte die Frau, nennen wir sie Linda, das Gespräch in deine andere Richtung. Recht offen sprach sie die Auslastung des Businessbereichs an – 2 fast leere Logen seien ihr aufgefallen. Da es nicht wirklich Alex’ Verantwortungsbereich ist, ging er nur oberflächlich darauf ein und verwies auf die entsprechenden Personen der Vermarktung.
So kurzer Cut an dieser Stelle & direkt eine kurze Frage an dich:
Ist das eine Verhandlung?
Was sagt denn die Wissenschaft? Roger Fisher und William Ury schrieben in „Getting to yes“ - "Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Sie sind ein Verhandlungspartner ... Jeder verhandelt jeden Tag über irgendetwas“ und sie definieren Verhandlungen als eine "Hin- und Her-Kommunikation, die darauf abzielt, eine Einigung zu erzielen, wenn Sie und die andere Seite einige gemeinsame Interessen haben und andere, die entgegengesetzt sind". Leigh Thompson, deren Verhandlungslehrbuch „The Mind and Heart of the Negotiator“ ich hier ja auch schon besprochen habe, bezeichnet Verhandlungen als "zwischenmenschlichen Entscheidungsprozess", der "immer dann notwendig ist, wenn wir unsere Ziele nicht allein erreichen können". Und im Buch Judgment in Managerial Decision Making schreiben Max Bazerman und Don Moore sinngemäß: "Wenn zwei oder mehr Parteien zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen müssen, aber unterschiedliche Präferenzen haben, verhandeln sie." Zusammengenommen umfassen diese Definitionen das breite Spektrum der Verhandlungen, die wir in unserem Privatleben, am Arbeitsplatz und mit Fremden oder Bekannten führen. Ok – unter diesen Aspekten würde ich jetzt nicht von einer Verhandlung sprechen.
Allerdings fehlt mir da ein wichtiger Aspekt – nämlich die Betrachtung der Dimensionen.
In der Besprechung des Buches 3D-Negotiation von Lax und Sebenius haben wir diese ja genauer angeschaut. Während die meisten Menschen bei Verhandlungen nur die erste Dimension – die „am Tisch“ betrachten, haben hoch-professionell ausgebildete und dementsprechend auch agierende Verhandlungsprofis die beiden anderen Dimensionen am „Drawing Board“ sowie „away from the table“ im Blick. Und genau aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass Alex und Linda bereits miteinander verhandeln. Freundlich und professionell lies Linda das Gespräch ausklingen, vernetzte sich sowohl mit Alex als auch mit mir auf Linkedin und sorgte auch dafür, dass sich die anderen beiden, die eher im Hintergrund geblieben waren, mit uns vernetzten. Alex sah bei der Anfrage, dass Linda eine hohe Position bei einem Unternehmen hat, welches gerade über eine Lieferanten-Vereinbarung mit Alex Arbeitgeber verhandelt. Hmm – er dachte kurz nach und entschied sich, dass er dies ja am Montag „auf dem kurzen Dienstweg“ bei den entsprechenden Kollegen kurz erwähnen könnte. In seinen Augen war es ja eher ein ganz normales Gespräch. Jetzt wird erstmal die 2. Halbzeit geschaut. Als ich ein paar Wochen später wieder im Stadion war, traf ich Linda in dem Bereich wieder – wir sprachen kurz miteinander und zum Spiel verschwand sie in einer Loge. Selbst aus der Entfernung, die ich zu der Türe hatte, war deutlich zu lesen, dass auf dem Schild neben der Türe nun groß und deutlich der Name des Unternehmens, für das sie tätig ist, geschrieben steht…
Gut, welche Lehren kannst Du nun daraus ziehen? Einige – und es kommt drauf an, wie und wo Du stehst 😉 Generell macht das deutlich, dass Du in Verhandlungen verwickelt sein kannst, auch wenn Du es gar nicht direkt merkst. Alex war in dem Fall eine „Informationsquelle“ für Linda. Und sie hat das professionell zu ihrem Vorteil genutzt. Vor kurzem hat Chris Voss in einem Interview bei Jiri Siklar gesagt:
"The most dangerous negotiation is the one you don't know you're in"
– auch wenn er es in einem anderen Kontext gemeint hat – diese Aussage passt auch hier. Zum anderen, ist dadurch nochmal deutlich geworden, dass Verhandlungen nicht nur „am Tisch“ stattfinden. Wir verhandeln mehrmals am Tag! Und dessen sind sich viele nicht bewusst.
Formelle Verhandlungen sind leicht zu identifizieren:
Und dann gibt es noch die informelleren, weniger offensichtlichen Verhandlungen, an denen wir täglich teilnehmen:
Und für mich ist es wichtig, eben genau für diese Angelegenheiten gewappnet zu sein. Kommen wir nochmal zu Dir. Siehst Du dich eher im Operativen Bereich, so behalte bitte im Hinterkopf, dass es mehr als nur die Verhandlung am Tisch gibt. Stimme dich daher firmenintern ab – gerade wenn Du zu Veranstaltungen gehst, auf denen auch Geschäftskontakte sind oder sein könnten.
Siehst Du dich eher im Strategischen Bereich eingeordnet, so verschaffe dir einen Überblick über die Gesamtsituation und denke deine Verhandlung in den 3 Dimensionen. Dies wird Dir mehr nutzen, als es Dir schaden wird.
Gut – also; welche Impulse kannst Du nun für dich mitnehmen?
Berücksichtige das in deinen Verhandlungen – und Du wirst mit Sicherheit: Besser verhandeln. ;)
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